Vorurteile vs. Fakten

Nicht erst seit Entstehung der Unionsliste zu invasiven Arten kursieren viele Vorurteile gegen den Waschbären. Schnell wird er als alleiniger Verursacher eines Problems vorverurteilt. Dass andere „heimische“ Tierarten eventuell ebenso oder sogar zu einem größeren Teil daran beteiligt sein könnten, wird oft vergessen.

Im Folgenden möchte ich mit ein paar der gängigsten Vorurteile aufräumen.

Waschbären sind hier nicht „heimisch“ / gehören hier nicht her​

Teilweise richtig.

Waschbären galten nach dem Bundesnaturschutzgesetz als „heimische Art“ (ehemals BNatSchG § 10 Abs. 2 Nr. 5 b). Der Begriff „heimisch“ wird im Bundesnaturschutzgesetz seit März 2017 allerdings generell nicht mehr verwendet. Doch handelt es sich beim Waschbären um eine längst etablierte, weit verbreitete Art in Deutschland.

Waschbären sind Nahrungskonkurrenten „heimischer“ Tierarten

Falsch.

Waschbären sind eher faule Allesfresser, die aufgrund ihrer besonderen Nahrungssuche mit Hilfe ihrer sehr sensiblen Vorderpfoten eine ökologische Nische eingenommen haben, die vorher nicht besetzt war. Sie fressen am liebsten das, was am meisten vorhanden ist und am einfachsten zu erreichen ist. Sie stellen somit keine Nahrungskonkurrenz zu anderen „heimischen“ Arten dar.

 

Waschbären haben keine natürlichen Feinde

Falsch.

Waschbären gehören in der Nahrungspyramide zu den sogenannten Raubtieren zweiter Ordnung. Damit stehen sie mit dem Fuchs und kleineren Greifvögeln auf der gleichen Stufe. Raubtiere der gleichen Stufe können auch gegenseitig füreinander gefährlich sein. Zusätzlich sind auch die Raubtiere der dritten Ordnung Fressfeinde der niedrigeren Stufen. Natürliche Feinde der Waschbären sind somit Füchse und größere Greifvögel wie Uhu und Seeadler vor allem für Waschbärwelpen. Wölfe und Luchse können aber auch für ausgewachsene Waschbären gefährlich werden.

Häufig werden bei der Auflistung von natürlichen Feinden die ganz kleinen, welche wir mit bloßem Auge nicht mehr erkennen können, vergessen. Parasiten, Viren und Bakterien stellen beispielsweise für uns Menschen die letzten natürlichen Feinde dar. Bei den nordamerikanischen Waschbären ist das Staupevirus die häufigste natürliche Todesursache.

Waschbären übertragen gefährliche Krankheiten

Theoretisch Richtig. Praktische eher sehr unwarscheinlich.

Der Waschbärspulwurm, welcher auch auf den Menschen übertragbar ist und somit eine gefährliche Zoonose darstellt, wurde in der mecklenburgischen/ brandenburgischen Population bisher nicht nachgewiesen. Das Landeslabor Berlin/Brandenburg untersucht jährlich mehrere hundert Waschbären auf mögliche Krankheiten. In der mitteldeutschen Population kommt er bei knapp 3/4 der Population vor. Aber auch ein Übertagung des Spulwurms in dicht besiedelten Gebieten wie bspw. Kassel konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Die einzigen bekannte Übertragungen fanden von in Gefangenschaft lebenden Waschbären statt.

Die terrestrische Tollwut gilt in Deutschland seit 2008 als ausgerottet. Im Labor infizierte Tiere zogen sich in ihren Bau zurück. Eine Übertagung der Tollwut durch Waschbären ist zumindest in Deutschland somit mehr als unwahrscheinlich.

Waschbären erkranken sehr viel seltener an Räude als beispielsweise Füchse. Sie stellen nur in Einzelfällen Überträger dieser Krankheit dar.

In Nordamerika stellt Staupe die häufigste Todesursache für Waschbären dar. Sie sind potentielle Überträger aber nicht die Verursacher. So wurde der Staupeausbruch 2012/2013 in Berlin nachweislich durch eingeführte ungeimpfte Hunde ausgelöst und auf Wildtiere übertragen.

Insgesamt stellt der Waschbär aufgrund seiner geringen Infektionskrankheiten eine untergeordnete Rolle bei der Krankheitsübertragung dar.

Waschbären fressen alle Singvögel

Falsch.

Waschbären fressen sicherlich auch Vögel. Sie sind allerdings eher als Sammler denn als Jäger zu betrachten. Bei Kotprobenanalysen wurde festgestellt, dass lediglich 3,1% der Gesamtnahrung von Waschbären aus Vögeln und deren Eiern besteht. Freigänger Hauskatzen richten in der Vogelwelt einen erheblich größeren Schaden an. Zudem bedeutet das Insektensterben, u.a. verursacht durch die Agrarindustrie, dass Vögel immer weniger Nahrung finden.

Waschbären plündern Vogel- und Fledermauskästen

Richtig.

Dies passiert allerdings nicht besonders häufig und auch andere Tiere wie zB. Marder tun dies. Zudem präsentieren wir Menschen durch Aufstellen von Nistkästen Nahrung auf dem Silbertablett und ärgern uns, wenn es von schlauen Tieren entdeckt wird. Einfache Lösung: Kästen so anbringen, dass sie von Waschbären und anderen Räubern nicht erreicht werden können.

Waschbären bedrohen geschützte Amphibien und Reptilien

Teilweise richtig.

Kotanalysen aus dem Müritz Nationalpark zeigen, dass auch 2 bedrohte Froscharten von den Waschbären gefressen werden. Man muss aber beachten, dass genau diese zwei Arten dort überdurchschnittlich häufig vorkommen und der Waschbär somit keine Bedrohung für das Fortbestehen dieser Art darstellt. Insgesamt stellten bei dieser Untersuchung Amphibien 5,7% und Reptilien 0,11% der gesamten Jahresnahrung aller Waschbären im Untersuchungsgebiet dar.

Der Klimawandel und die falsche Bewirtschaftung von Laichgewässern und Überwinterungsquartieren stellen eine weitaus größere Bedrohung für die Amphibien und Reptilein dar.

Waschbären greifen Hunde und Katzen an

Falsch.

Waschbären gelten nicht als aggressiv oder angriffslustig. Allerdings wehren sie sich mit allen Kräften, wenn sie keinen anderen Ausweg mehr sehen. Wie bei jedem anderen Wildtier sollte also auch bei Waschbären darauf geachtet werden, sie nicht in die Enge zu treiben und ihnen immer einen Fluchtweg offen zu lassen. Bei den meisten durch Waschbären verletzten oder teilweise sogar getöteten Hunden handelt es sich um Jagdhunde, welche den Waschbären zuerst angegriffen haben.

Schlussfolgerung

Sämtliche wissenschaftliche Studien, welche bisher zu diesem Thema in Europa durchgeführt wurden zeigen, dass der Waschbär keinen negativen Einfluss auf das Ökosystem hat, weder als Fressfeind, noch durch Nahrungs- oder Schlafplatzkonkurrenz. Allerdings können negative Einflüsse in suboptimalen und anthropogen stark gestörten Habitaten nicht komplett ausgeschlossen werden. Hätten wir Menschen unsere Natur nicht schon derartig geschadet, hätten viele Arten sicherlich deutlich weniger Probleme mit Neuankömmlingen im Tierreich.